Jetzt erst recht! Islamkritiker wie Freysinger, Reimann & Co. lassen sich nicht einschüchtern

Islam25012015

Erschienen im SonntagsBlick vom 25. Januar 2015

Von Florian Imbach

Noch während der «Arena»-Sendung füllte sich das Smartphone von SVP-Nationalrat Lukas Reimann (32) mit Hass-Nachrichten. Reimann warnte im TV vor radikalisierten und gewaltbereiten Islamisten in der Schweiz – zwei Tage, nachdem islamistische Terroristen in Paris zwölf Menschen ermordet hatten. Der Politiker erhielt deswegen unzählige direkt an ihn gerichtete Beschimpfungen via sein Facebook-Profil. Ein «elender Kinderf*****» sei er, ein «Hurensohn». Einige drohten ihm gar mit dem Tod: «Deine Tage sind gezählt, du bist tot» und «Bald kommt dein Jenseits und da wirst du deinen Ungehorsam auf Ewigkeit spüren». Für Reimann haben die Nachrichten eine neue Qualität. So viele und so brutale gab es bisher nicht – nach einem aus seiner Sicht eher zurückhaltenden Auftritt.

Doch Reimann will nicht gegen die Urheber vorgehen. Er reicht keine Anzeige ein. «Klar, ist es unangenehm. Aber mir ist lieber, die Extremisten können sich auf diesem Weg abreagieren als dass sie bei mir vor der Türe stehen.» Wer wie er für freie Meinungsäusserung einstehe, könne nicht anderen den Mund verbieten. «In der Schweiz ist die Haltung leider stark verbreitet, gewisse Äusserungen nicht zuzulassen. Wenn sich das Volk aber nicht mehr frei äussern kann, staut sich Wut an.» An seinen Auftritten will Reimann nichts ändern. «Ich werde weiterhin sagen, was ich denke. Jetzt erst recht. Wir dürfen nicht kapitulieren. Das wäre genau, was diese Spinner wollen.»

«Jetzt erst recht», sagen auch andere Schweizer Islamkritiker. Der SVP-Nationalrat und Walliser Sicherheitsdirektor Oskar Freysinger (54) exponiert sich international mit Auftritten etwa bei «Al Jazeera». Er habe den Koran studiert – und äussere sich weiterhin pointiert, sagt er. «Wir dürfen unsere Freiheiten nicht aufgeben. Sonst haben wir verloren.» Er habe den Islam nie beleidigt. «Damit konnte ich ein Todesurteil islamistischer Prediger bisher verhindern.» Die Anschläge in Frankreich hätten aber gezeigt, dass solches Verhalten keine Garantie mehr sei. «Ich mache mir Sorgen. Heute kann es jeden treffen. Und ich bin der exponierteste Islamkritiker der Schweiz.» Freysinger hat nun sein Sicherheitsdispositiv verschärft. Er tauscht sich regelmässig mit der Walliser Polizeispitze aus und spricht Anlässe vorher ab. Von Fall zu Fall wird über den Schutz des Islamkritikers entschieden.

Über den persönlichen, privaten Umgang mit Todesdrohungen und der Angst, einem Attentat zum Opfer zu fallen, sprechen Reimann und Freysinger nur ungern. Man merkt: Sie möchten keine Schwäche zeigen, auch wenn es ihnen nahegeht. «Mein Familie macht sich Sorgen um mich. Aber ich kann doch nicht jeden Tag in Angst und Schrecken leben.»

Rückendeckung bekommen die Rechtsaussen von FDP-Nationalrat Andrea Caroni (34). «Wir müssen als Gesellschaft die freie Meinungsäusserung schützen. Notfalls mit unserem Sicherheitsapparat.» Jeder müsse sich frei äussern können, auch wenn die Aussagen unangenehm seien. «Wir müssen damit umgehen können, dass Menschen auch dumme, fragwürdige und verwerfliche Meinungen äussern. Das müssen wir aushalten.» Mit guten Argumenten müsse man darauf reagieren, nicht mit Verboten. Caroni geht dabei sehr weit. «Wenn jemand den Holocaust leugnen will, dann soll er das dürfen, solange er damit nicht zu Gewalt aufruft. Er macht sich damit selbst unglaubwürdig.»

Caroni stört sich an den gesetzlichen Beschränkungen im Schweizer Strafrecht. So gibt es den Antirassismus-Artikel, den Blasphemie-Artikel und das Verbot der Beleidigung fremder Staaten und Würdenträger. Selbst Exponenten «zwischenstaatlicher Organisationen» wie Fifa-Boss Sepp Blatter sind speziell geschützt. Dafür hat Caroni kein Verständnis. Und er sagt: «Es kann doch nicht sein, dass wir gegen unsere Bundesräte wettern dürfen, aber Angela Merkel, die Jungfrau Maria und der Koran geschützt sind.»

«Legalisiert alle Drogen»

Herzig26102014

Die überraschenden Äusserungen des ehemaligen Drogenbeauftragten der Stadt Zürich geben zu reden. Michael Herzig war bis Ende Juni «der Mann für Drogen» in Zürich. In der aktuellen Ausgabe des SonntagsBlicks, sprach er sich dafür aus, alle Drogen zu legalisieren.

«Ich bin dafür, alle Drogen zu legalisieren. Die Betäubungsmittelliste sollten wir vollständig abschaffen.» Cannabis könne man wie Tabak oder Alkohol behandeln, Ecstasy etwas strenger, allenfalls mit höherem Mindestalter. Härtere Drogen wie Kokain und Heroin sollen Ärzte unter medizinischer Anweisung verschreiben. «Die Leute konsumieren heute an Partys Drogen, das gehört zum Nachtleben. Die meisten stehen am Montagmorgen wieder auf der Matte und funktionieren normal. Drogenkonsum führt nicht automatisch in den Abgrund.» International gehe die Entwicklung in Richtung Legalisierung. «Wenn sich nicht bald etwas ändert, verpasst die Schweiz den Anschluss», warnt Herzig. «Der Aufwand, Drogen zu verbieten, ist riesig und am Ende profitiert die organisierte Kriminalität.» Kokain und Heroin seien in der Stadt Zürich praktisch frei erhältlich, obwohl beides verboten ist. In China sind Drogen bei Todesstrafe untersagt: «Trotzdem konsumieren die Leute.»

Am Montag nahmen die Tageszeitungen 20 Minuten und Le Matin die Forderung auf. 20 Minuten holte Reaktionen von Politikern in Zürich ein, die mehrheitlich mit «Unverständnis» und «Enttäuschung» reagierten. Le Matin sprach mit dem jurassischen Polizeidirektor und Drogenexperten Olivier Guéniat. Guéniat zeigte sich wie Herzig kritisch gegenüber der aktuellen Verbots- und Repressionspolitik.

Interessant sind insbesondere die Kommentare der Leser, die sich mehrheitlich für eine Legalisierung aussprechen. Bei der Umfrage auf 20Minuten.ch sprachen sich nach zwei Tagen 70 Prozent der 3400 Teilnehmer für eine vollständige Drogen-Legalisierung in der Schweiz aus.

Am Dienstag folgte dann das Interview mit Michael Herzig auf NZZ Online, das am Mittwoch in der Printausgabe erschien. Darin führt der Experte weiter aus, wie er sich die Legalisierung vorstellt und erzählt, wieso er plötzlich mit einer solch radikalen Forderung an die Öffentlichkeit tritt: «Ich war schon immer der Überzeugung, dass eine Legalisierung von Drogen sinnvoll wäre. Nun, nach meinem Weggang von der Stadt, halte ich es für an der Zeit, Grundsätzliches in dieser Thematik anzusprechen.»

Ebenfalls am Mittwoch widmete der Tages-Anzeiger der Forderung des ehemaligen Drogenbeauftragten eine Analyse.

Hier folgt nun noch der ursprüngliche Artikel im SonntagsBlick vom 26. Oktober 2014, der online nicht verfügbar ist:

«Legalisiert alle Drogen!»

Von Florian Imbach

Michael Herzig steht mit ernster Miene am Zürcher Sihlquai. Hier verkauften bis vor kurzem junge Frauen in kurzen Röcken ihren Körper. Mit der Personenfreizügigkeit reisten Dutzende Roma samt Zuhälter aus Ungarn nach Zürich. Es kam zu einem brutalen Verdrängungskampf. Herzig, bis Ende Juni oberster Prostituierten-Beauftragter der Stadt Zürich, sagt: «Wir wurden völlig überrascht, das haben wir nicht kommen sehen.»

Herzig war in Zürich auch «der Mann für Drogen», leitete die Drogenhilfe. Nun spricht er Klartext: «Die Drogenexperten in der Schweiz meinen, wir seien wahnsinnig innovativ. Das sind wir nicht. Wir haben in den letzten 15 Jahren nichts mehr gemacht, sind bequem und denkfaul geworden.»

Auf nationaler Ebene würden Linke und Rechte eine sinnvolle Drogenpolitik blockieren, weil sie «erzieherisch» an das Problem herangingen. «Rechts führt das zu sinnlosen Verboten, links zu einem blinden Kampf gegen das Rauchen.» Der Staat aber habe nicht die Aufgabe, die Menschen vor sich selbst zu schützen.

Sein radikaler Vorschlag: «Ich bin dafür, alle Drogen zu legalisieren. Die Betäubungsmittelliste sollten wir vollständig abschaffen.» Cannabis könne man wie Tabak oder Alkohol behandeln, Ecstasy etwas strenger, allenfalls mit höherem Mindestalter. Härtere Drogen wie Kokain und Heroin sollen Ärzte unter medizinischer Anweisung verschreiben. «Die Leute konsumieren heute an Partys Drogen, das gehört zum Nachtleben. Die meisten stehen am Montagmorgen wieder auf der Matte und funktionieren normal. Drogenkonsum führt nicht automatisch in den Abgrund.»

International gehe die Entwicklung in Richtung Legalisierung. «Wenn sich nicht bald etwas ändert, verpasst die Schweiz den Anschluss», warnt Herzig. «Der Aufwand, Drogen zu verbieten, ist riesig und am Ende profitiert die organisierte Kriminalität.» Kokain und Heroin seien in der Stadt Zürich praktisch frei erhältlich, obwohl beides verboten ist. In China sind Drogen bei Todesstrafe untersagt: «Trotzdem konsumieren die Leute.»

Gerade bei Cannabis zeige sich, wie kontraproduktiv Repression sei: «Die Hanfläden wurden in den 90er-Jahren kaputt gemacht, worauf die organisierte Kriminalität den Markt übernahm.» Das Hanfladen-Modell möchte Herzig wieder aktivieren, «mit Altersbeschränkung und Qualitätskontrollen». Der Staat profitiere durch Steuern auf Verkauf und Produktion.

«In Kalifornien sind legale Cannabis-Plantagen mittlerweile ein Wirtschaftsfaktor.» Leider sei der Bundesrat diesbezüglich negativ eingestellt, einen Versuch der Stadt Genf will er nicht bewilligen. «Die Städte müssen von sich aus aktiv werden, sie können nicht auf den Bund warten. Die Drogenabgabe haben wir in den Städten auch durchgeführt, bevor das Betäubungsmittelgesetz angepasst wurde.»

Auch bei der Prostitutionspolitik sieht Herzig Handlungsbedarf. Die Städte sollten dafür sorgen, dass die Prostituierten zumutbare Arbeitsbedingungen haben, sich mit bürokratischen Regulierungen aber zurückhalten. Eine Sexarbeiterin brauche heute zig Bewilligungen, in Bern müsse sie sogar bei der Polizei vorsprechen. «Mit der aktuellen Eindämmungspraxis verursachen die Städte hohe Bürokratiekosten.» Er schlägt deshalb ein Lizenzmodell vor: «Städte müssen einen legalen, unbürokratischen Strassenstrich haben und dafür die Anzahl Prostituierte mit Kontingenten begrenzen, wie sie es heute bei Marktfahrern tun.»

Mit einer Begrenzung hätte Zürich auch den Sihlquai in den Griff bekommen, ist Herzig im Rückblick überzeugt. Die Stadt schloss den Strich letztes Jahr und betreibt nun Sexboxen im Aussenquartier.

Interview mit Alt Bundesrat Moritz Leuenberger: «Alle werden sagen: Spinnen die eigentlich?»

Erschienen im SonntagsBlick vom 21. September 2014

Von Florian Imbach

Herr Bundesrat, am Mittwoch entscheidet das Parlament über den zweiten Gotthard-Strassentunnel. Bis anhin war eine zweite Röhre der sichere Tod jeder Gotthard-Vorlage.
Moritz Leuenberger: Zu meiner Zeit wäre der Aufschrei riesig gewesen. Jetzt ist meine Nachfolgerin im Amt. Es ist natürlich, dass mit einem politischen Generationenwechsel die Sachen anders gesehen werden. Ich werde meiner Nachfolgerin deswegen nicht in den Rücken fallen. Ich habe nicht den geringsten Groll, dass jetzt eine leichte Gewichtsverschiebung angestrebt wird. Bei allen anderen Dossiers Energie, Umwelt und auch sonst im Verkehr wurde die grosse Linie weitergeführt.

Aber wie kam es zu diesem Kurswechsel?
Auch ich sagte damals im Parlament, eine zweite Röhre sei für die Sicherheit besser. Zwei Röhren ohne Kapazitätserhöhung sind aber auch teuer. Beim Referendum wird man sehen, ob die Ängste der Agglomerationen überwiegen, weil ihnen Geld abgegraben wird. Sie haben das ganze Jahr Verkehrsprobleme, nicht nur an Ostern und Pfingsten wie der Gotthard. Als Jurist habe ich Vorbehalte. Der Alpenschutz ist in der Verfassung verankert, Volk und Stände haben das so gewünscht. Wenn man das ändern will, dann muss man das mit einer Änderung der Verfassung angehen.

Befürworter der zweiten Röhre sehen das anders. Eine gesetzliche Regelung genüge.
Wenn man ein Gesetz schafft, kann man das später ändern und die Kapazität eben doch erhöhen. Das würde der Verfassung widersprechen. Mit diesem Vorgehen zwingt man die Gegner zum Referendum. Richtig wäre, jetzt die Verfassung zu ändern und den Alpenschutzartikel aufzuheben. Dann müssten Volk und Stände obligatorisch darüber abstimmen.

Sie sagen, das Volk solle nach 20 Jahren nochmals über den Alpenschutz abstimmen?
Ich nicht. Aber wer eine zweite Röhre will, müsste so vorgehen. Hätten wir ein Verfassungsgericht, an das man später bei der Kapazitätserhöhung gelangen könnte, wäre das anders.

Mit einem zweiten Tunnel gerät die Verlagerungspolitik der Schweiz unter Druck.
Ja, der Druck wird kommen. Stellen Sie sich vor, an Ostern oder Pfingsten hat es zehn Kilometer Stau und die Leute wissen, man könnte ohne weiteres zweispurig durchfahren. Dann werden alle sagen: «Spinnen die eigentlich?» Und dieser Druck kann eben dazu führen, dass ein Gesetzesartikel geändert wird, und dann ist die Kapazität massiv erhöht.

Der Alpenschutz ist aber schon heute nicht umgesetzt.
Es war unmöglich, sowohl den Alpenschutzartikel zu erfüllen als auch die bilateralen Verträge mit der EU abzuschliessen. In dieser Situation boten die Initianten nachträglich Hand, ihre Initiative so auszulegen, dass wir trotzdem ein bilaterales Verkehrsabkommen erreichen konnten.

Das Landesverkehrsabkommen war also nur möglich, weil Sie mit den Initianten Kompromisse aushandelten?
Richtig. Wir sagten ihnen, dass wir alles machen, was wir können, um dem Ziel der Initiative so nahe wie möglich zu kommen. Aber vollständiges Erfüllen war nicht möglich. Das hat man zwar von Jahr zu Jahr versprochen, das Ziel von 650 000 Lastwagen pro Jahr haben wir aber nie erreicht. Wir haben Hilfsmassnahmen getroffen, Subventionen für die rollende Landstrasse, Tropfenzählersysteme und weiss ich was alles. So haben wir heute 1,2 Millionen Lastwagen pro Jahr, ohne die Initiative wären es gegen zwei Millionen.

Ist das nicht schizophren, wenn man von Anfang an weiss, dass das Ziel nicht erreichbar ist und trotzdem behauptet, man wolle es erreichen?
Die Frage geht an die Initianten. Eine Initiative ist ja immer auch ein Kampfmittel und steckt deswegen irreal hohe Ziele. Deswegen müssen die Initianten nachher die Verantwortung für einen Kompromiss aufbringen. Wer das nicht will, ist unglaubwürdig. Das ist für mich der grosse Unterschied zwischen den Leuten der Alpeninitiative und denen der Masseneinwanderungs-Initiative. Beide griffen die Bilateralen an und haben dem Bundesrat einen Knebel zwischen die Beine geworfen. Aber die einen haben mitgeholfen, eine Lösung zu finden.

Die SVP zeigt bei ihrer Masseneinwanderungs-Initiative kein Interesse an einem Kompromiss.
Die Initianten der Masseneinwanderungs-Initiative haben ganz genau gewusst, dass eine Annahme zur Unmöglichkeit des bilateralen Wegs führen wird. Sie schreiben eine reine Gesinnung, etwas Fantastisches, in eine Initiative und kümmern sich nicht um die Verantwortung, das umzusetzen. Sie müssten jetzt Hand bieten, damit die Bilateralen möglich bleiben.

Sie waren 38 Jahre Politiker, 15 Jahre Verkehrsminister und Bundesrat, zweimal Bundespräsident. Vermissen Sie das?
Es war eine gute Zeit, aber ich möchte trotzdem nicht mehr dort sein. Es braucht auch Rotation und ich war weiss Gott lang dort. Heute bin ich ein ehemaliger Bundesrat und kann meine Vergangenheit nicht einfach abstreifen. Das heisst auch, dass ich mich dafür interessiere, was geht. Meine Aufgabe besteht aber nicht darin, besserwisserisch meinen Nachfolgern zu sagen, was sie zu tun haben. Otto Stich hat oft genug öffentlich genörgelt und uns gesagt, was wir zu tun hätten.

Als Bundesrat hatten Sie Macht. Konnten Sie gut loslassen?
Das hat mir keine Mühe gemacht. Beim Zeitunglesen denke ich nicht, das müsste man jetzt anders machen. Der grosse Wechsel für mich war, dass ich plötzlich keine Menschen mehr um mich hatte: Mit meinen Leuten hatte ich freundschaftliche Verhältnisse, mit dem Stab, mit den Mitarbeitern in den Ämtern. Und plötzlich sitze ich alleine im Büro vor dem Bildschirm. Das war ein gewaltiger Schritt in die Einsamkeit.

Sie schmunzelten zu Beginn, als ich Sie mit «Herr Bundesrat» ansprach.
Es ist zwar nach Protokoll die richtige Ansprache aber «Moritz Leuenberger» ist mir lieber.

Sie wollten keine Fragen zu Ihnen als Privatperson …
Fragen dürfen Sie immer stellen.

Gut. Was machen Sie denn jetzt?
Verschiedenes. Verwaltungsrat einer Firma, die erneuerbare Energien und Energieeffizienz in Europa finanziert, Präsident der Swiss Luftfahrtstiftung, viele Auftritte, Reden zur direkten Demokratie, zum Föderalismus oder zur EU. Auch meine kulturellen Auftritte in der Tonhalle oder im Theater haben immer einen politischen Hintergrund.

Sie sind immer noch Politiker?
Ja. Wir alle sind immer Politiker. Auch Journalisten. Alles ist von politischer Bedeutung.

Sie sagten in einem Interview, Sie hätten gerne einen Roman geschrieben. Dieser würde aber wahrscheinlich verrissen.
Ja, weil ihn nicht Literaturkritiker kommentieren würden, sondern Politjournalisten. Ich kann nicht plötzlich vom Bundesrat zum Romancier werden. Mein Name ist immer mit meinem früheren Amt verbunden. Ich muss diese Wechselwirkung auch spielen lassen. In einer Rede zeigte ich kürzlich auf, wie das politische Amt den Charakter verändert.

Das Interview erscheint an Ihrem Geburtstag. Was machen Sie?
Ich habe nichts Besonders vor. Es ist auch nicht ein so wichtiger Geburtstag.

Doch, 68!
Ja, stimmt. Das gleiche Jahr, in dem ich politisiert wurde. Ich bin ein 68er.

Hinter den Postschaltern brodelt es

Post Stress SonntagsBlick

Erschienen im SonntagsBlick vom 1. Juni 2014

Von Florian Imbach

Nur der Verkauf zählt: Mitarbeiter müssen Umsatz bolzen. Nun regt sich bei Poststellenleitern und Angestellten Widerstand.

Roman Grunder* steht in der leeren Schalterhalle seiner Poststelle. Ein wenig verloren sieht er aus zwischen Mobiltelefon-Werbung und Versicherungsprospekten. «Das ist doch krank, was die wollen», sagt Grunder. Vor ein paar Wochen hat der Poststellenleiter die neuen Verkaufsziele bekommen. «Das kann ich beim besten Willen nicht erreichen», sagt er. «Bei der Post geht es nur noch ums Verkaufen – alles andere ist egal.»

Auch in anderen Schweizer Poststellen rumort es. Mitarbeiter sind erschöpft, leiden an Burnouts, lassen sich krankschreiben. Langjährige Mitarbeiter künden, weil sie es bei der Post nicht mehr aushalten. Der Grund: Die bei der Bevölkerung ehemals hochgeschätzte Institution wolle nur noch verkaufen – «ohne Rücksicht auf Verluste».

Grunder fing als Lehrling an, hielt der Post jahrzehntelang die Stange. Nun wird ihm gesagt, er könne ja «verreisen», wenn es ihm nicht mehr passe. So geht es vielen, mit denen SonntagsBlick sprechen konnte, vom einfachen Schalterangestellten bis zum Kadermitarbeiter, von der Ostschweiz bis in die Romandie. Aus Angst vor Repressalien will niemand mit seinem wahren Namen in der Zeitung stehen. Die «heile Welt der Post», wie einer sagt, sei «Lug und Trug».

Der Druck von oben, sagen Schalterangestellte, sei gewaltig. Yannik Tobler* etwa (Bild) hatte nie Probleme bei der Arbeit. Der Mittzwanziger ist fleissig, freundlich und bedient die Kunden stets mit einem Lächeln. Jetzt steht er jeden Morgen mit Bauchweh auf und steht gebückt hinter dem Schalter.

Für ihn brach eine Welt zusammen, als er letztes Jahr zum ersten Mal beim Chef antraben musste. Er verkaufe nicht genug, hiess es. Beim nächsten Gespräch war dann plötzlich eine Mitarbeiterin der Personalabteilung dabei, die ihm «personalrechtliche Konsequenzen» androhte, wenn er nicht endlich mehr umsetze. «Ich wurde richtig fertiggemacht», berichtet er. Gespräche wie dieses haben offenbar System. Mitarbeiter, die nicht genug verkaufen, müssen zum Chef. Danach folgen monatliche «Standortbestimmungen» mit dem Vorgesetzten und der Personalabteilung. Wer nicht spurt, dem wird die Kündigung nahegelegt.

Yannik Tobler musste im letzten Jahr neben seinem anspruchsvollen, strengen Schalterjob massiv Kunden werben und dabei 31 Kontos eröffnen, zehn PostFinance-Beratungen vermitteln, sechs Reiseversicherungen von Axa-Winterthur verkaufen, 20 Mobiltelefon-Abo-Verträge abschliessen und mit möglichst jedem seiner Postkunden zum Millionen-Umsatzziel mit Markenartikeln beitragen. So steht es in seiner Zielvereinbarung, die SonntagsBlick vorliegt.

Ganz im Einklang mit der neuen Post-«Verkaufsphilosophie» hat das Management auf dieses Jahr ein neues Online-Bewertungssystem eingeführt, das voll auf Verkaufsziele setzt. Interne Dokumente zeigen, welche Ziele die Post bei der Bewertung wie hoch gewichtet: Versicherungen verkaufen (10 Prozent), Mobiltelefon-Abos verkaufen (25 Prozent), PostFinance-Produkte verkaufen (25 Prozent), Markenartikel verkaufen (20 Prozent) und klassische Postprodukte verkaufen (20 Prozent). Verkaufen, verkaufen, verkaufen – am besten 100 Prozent, das zählt beim Schalterpersonal.

Letztes Jahr erzielte die Post mit Drittprodukten einen Umsatz von einer halben Milliarde Franken. Dennoch macht der Bereich «Poststellen und Verkauf» Verlust. 91 Millionen Franken im letzten Jahr. Schweizer schreiben weniger Briefe, die Konkurrenz durch neue Kommunikationsmittel wie E-Mail macht sich bemerkbar. Den Rückgang im traditionellen Postgeschäft will das Unternehmen mit höheren Einnahmen bei «Drittprodukten» ausgleichen.

Der Einblick in Poststellen-Verkaufsziele zeigt: Die Post zieht die Schrauben an. Von 2012 bis 2014 erhöhte die Postleitung ihre Verkaufsziele für Versicherungen, Telekom und PostFinance-Produkte um 29 bis 50 Prozent. Der damit verbundene Druck sei massiv, klagen Mitarbeiter. Seit zwei Jahren lassen sich Angestellte vermehrt krankschreiben. Immer öfter kommt es zu Burnouts, wie mehrere Poststellenleiter bestätigen. «Ich bin seit 20 Jahren bei der Post. Ich habe noch nie so viele kranke und ausgebrannte Leute gesehen wie in den letzten zwei Jahren», sagt ein Kadermitarbeiter.

Postmitarbeiter wie Yannik Tobler sind mittlerweile so verzweifelt, dass sie ihre Familienangehörigen und Freunde mit Versicherungen und Mobiltelefonverträgen eindecken, um bloss mehr zu verkaufen. Ein Angestellter gesteht im Gespräch, wie er aus seinem Lohn im Postshop regelmässig Handys kauft – und sie auf Internet-Tauschbörsen wie Ricardo wieder verscherbelt. Mit Verlust.

Das sagt die Post zu den Vorwürfen des Schalterpersonals

Die Post weist die Vorwürfe in einer schriftlichen Stellungnahme zurück. Die Fluktuationsrate im Poststellenbereich liege mit vier Prozent knapp über der Rate des Gesamtkonzerns, die krankheitsbedingten Abwesenheiten hätten in den letzten 12 Monaten leicht abgenommen. Zu den Verkaufszielen sagt die Post: «Im Verkauf braucht es auch bei der Post Anreize, diese setzen wir in einem sozialverantwortlichen Mass um. Die kaum lohnwirksamen Ziele wurden auf Grund des Potenzials und der Zielerreichung 2013 ermittelt.» Die Post biete Mitarbeitern «vielfältige Unterstützungsmassnahmen» an, «beispielsweise Verkaufstrainings, Lernzirkel, Fördergespräche, Themen-Workshops etc., um ihre Kompetenzen zu steigern und sich mit erfolgreichen Kolleginnen und Kollegen auszutauschen».

In den Mitarbeitergesprächen würden Postmitarbeiter nicht schikaniert. Die Post spricht von «standardisierten Standortbestimmungen und Führungsgesprächen», in denen Mitarbeiter bei «auftretenden Defiziten» unterstützt würden. Die Post sagt weiter, dass bei der Zielbeurteilung auch das Arbeitsverhalten «eine Rolle spiele». Entlassen würde niemand aufgrund schlechter Verkaufszahlen. Der GAV Post lasse dies nicht zu.

Wechsel zur Blick-Gruppe

Bundeshaus in Bern

Per 1. Mai 2014 wechselt Florian Imbach ins Politik-Ressort der Blick-Gruppe. Nach einem Jahr im Recherchedesk der SonntagsZeitung berichtet er neu über nationale Politik aus Bern. Das Politik-Ressort wird seit dem 1. April 2014 von Matthias Halbeis und Joël Widmer geleitet, die ebenfalls von der SonntagsZeitung zur Blick-Gruppe wechselten.

Polizeikorps fichieren unkontrolliert

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 27. April 2014

Von Florian Imbach

Bern In zahlreichen Kantonen fehlt eine wirksame Kontrolle der Polizeidatenbanken. Das Resultat: Die Zahl der Personeneinträge wächst unkontrolliert, und damit steigt die Gefahr, dass Unbescholtene ins Visier der Polizei geraten. Wird zum Beispiel jemand zu Unrecht verdächtigt, mit Drogen zu handeln, wird er noch Jahre später bei Polizeikontrollen auf Drogen angesprochen. Wenn die Datenbank nicht richtig kontrolliert und gepflegt wird, ist er dort als Dealer gespeichert, selbst wenn sich sein Verfahren längst in Luft aufgelöst hat.

In vielen Kantonen gelangen zudem Verdachtsmeldungen ins Polizeisystem. In Zürich etwa wurde die Teilnehmerin eines Fahrsicherheitskurses vom kantonalen Amt für Administrativmassnahmen zur «ärztlichen Überprüfung der Fahreignung» aufgeboten, nachdem ein Polizist ihr angeblich auffälliges Verhalten im System vermerkt hatte. Bruno Baeriswyl, Präsident der Vereinigung kantonaler Datenschützer, kritisiert diese Praxis: «Die Polizei nutzt die Datenbanken für Recherchen. Die Problematik dabei ist, dass wir aus unterschiedlichsten Gründen gespeichert sind. Das kann eine Anzeige sein, eine Zeugenaussage oder eine Hotelübernachtung.»

Nach dem Postüberfall Zürichberg vor einigen Jahren verdächtigte die Polizei eine Frau, die zwei Tage später auf der Filiale Geld einzahlte. Der Name der Frau tauchte danach bei den Ermittlern jedes Mal wieder auf, wenn sie die Datenbank nach Raubüberfallsdelikten durchsuchten.

Polzeikorps haben den Auftrag, Einträge auch wieder zu löschen

Recherchen der SonntagsZeitung zeigen nun erstmals das Ausmass der Personendaten in Polizeidatenbanken. Im Kanton Zürich sind über 1,7 Millionen Menschen bei der Polizei verzeichnet. In Bern sind es ebenfalls gut 1,7 Millionen, im Aargau 350 000. Das Bundesamt für Polizei hat rund 2,6 Millionen Personen verzeichnet. Das sind zusammen bereits weit über 6 Millionen Personeneinträge.

Die Polizeikorps haben den gesetzlichen Auftrag, ihre Daten intern zu pflegen und sicherzustellen, dass Einträge auch wieder gelöscht werden. Diese interne Kontrolle funktioniert aber nicht richtig. Die Kantonspolizeien Luzern, Waadt und St. Gallen konnten nicht einmal Auskunft darüber geben, wie viele Personen ungefähr in ihren Datenbanken erfasst sind. Baeriswyl sagt: «Die Polizei weitet die Datenbearbeitung ständig aus, bei den Kontrollmechanismen passiert aber nichts.»

Die externe Aufsicht sollte eigentlich durch kantonale Datenschützer wie Baeriswyl erfolgen. Ihnen fehlen aber die Ressourcen, um die stark wachsenden Polizeidatenbanken zu kontrollieren. Im Kanton Bern hat die externe Aufsicht nur ein Budget, um jährlich vier Systeme zu prüfen – in der gesamten Verwaltung mit über 40 Dienststellen und 22 000 Mitarbeitern. Baeriswyl spricht von einem Aufsichtsproblem. «Nur ein Drittel der Kantone ist überhaupt in der Lage, die Polizeidatenbanken zu kontrollieren.» Nur beim Bund scheint man die Datenbanken richtig im Griff zu haben. Der zuständige Datenschützer Hanspeter Thür stellt den Polizisten dort ein gutes Zeugnis aus, die internen Kontrollen seien angemessen.

Die Kantone arbeiten derweil daran, ihre ungenügend gewarteten Datenbanken untereinander sogar zu vernetzen. Mit dem Projekt «Harmonisierung Polizeiinformatik» wollen die Polizeidirektoren laut Programmauftrag einen «raschen Informationsaustausch» zwischen den Kantonen. Bereits nächstes Jahr soll dieser in Betrieb genommen werden.

Der Parlamentarier-Hack: Angriff auf den Nationalrat

Angriff auf den Nationalrat

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 23. März 2014

Von Florian Imbach und Alexandre Haederli

Bern Am 8. Januar, um 14.28 Uhr, beginnt der Angriff. Balthasar Glättli sitzt vor seinem Laptop in seinem kleinen Büro in Zürich Wipkingen. Es ist die heisse Phase des Abstimmungskampfes um die Einwanderungsinitiative. Der Fraktionschef der Grünen hat keine freie Minute, rennt von Podium zu Podium.

Die E-Mails strömen bei Glättli nur so rein. Darunter auch eine von Hans Strittmatter vom Verband Zürcher Handelsfirmen. Glättli weiss, dass Strittmatter das morgige Podium zur Einwanderungsinitiative organisiert, wo auch er auftreten wird. Strittmatter schickt ihm eine Übersicht über die politische und demografische Zusammensetzung des Publikums – nützliche Angaben, die Politiker nur selten erhalten. Das Virenprogramm bleibt ruhig. Es ist 14:30 Uhr, Glättli öffnet das Word-Dokument.

In dieser Sekunde blinkt eine Meldung auf dem Laptop von Manuel Krucker. Der IT-Spezialist der Firma Infoguard sitzt hinter einer Wand aus Bildschirmen im dritten Stock eines grauen Bürokomplexes in Baar bei Zug. Er lächelt. Strittmatters Mail war sein Werk – eine Fälschung. Krucker hat soeben einen Nationalrat gehackt – ein Test im Auftrag der SonntagsZeitung.

Der IT-Experte nennt das ein «gezieltes Szenario auf eine exponierte Einzelperson». Hacker nennen es Whaling, Walfang. Dass Glättli bei Strittmatters Podium referiert, hat Krucker eine Woche zuvor auf dem Facebook-Profil des Nationalrats entdeckt. Während Tagen durchleuchtete Krucker den Nationalrat, notierte sich alles, was er über ihn herausfinden konnte. «Glättli ist ein gutes Opfer», sagt Krucker, «weil er sehr viel von sich preisgibt».

Aus seiner Kommandozentrale in Baar schreibt der Informatiker immer wieder Befehle, die das Spionageprogramm bei Glättli gehorsam ausführt. Während der Politiker munter weiterarbeitet, beginnt das Programm im Hintergrund fleissig Daten an Krucker zu schicken.

Krucker erstellt als Erstes einen Auszug aller Ordner und Dokumente, ein sogenanntes Directory Listing. Kruckers Augen wandern über seitenweise sensibles Material: interne Sitzungsprotokolle, Gesprächsnotizen, Gesetzesentwürfe, geplante Anträge, Mitberichte, vertrauliche Berichte, Subkommissionsberatungen und Listen über Abstimmungsverhalten.

Der Angreifer kontrolliert das digitale Leben von Glättli

Krucker kann diese Dokumente stehlen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Man stelle sich vor, er wäre kein IT-Sicherheitsexperte, sondern ein Angreifer mit bösen Absichten. Durch Unterlagen auf Glättlis Computer hat der Angreifer Einblick in Milliarden-Rüstungsgeschäfte, die in der sicherheitspolitischen Kommission diskutiert werden. Krucker hat zum Beispiel Zugriff auf die Details des Beschaffungsgeschäfts Gripen. Er kann die Diskussionen in der Kommission verfolgen, die Voten der Parlamentarier einsehen, die technischen Berichte der Luftwaffe studieren.

Hätte Krucker den Nationalrat einige Monate früher gehackt, hätte er schon damals Einblick in die Debatte über die Einsatzfähigkeit der Luftwaffe gehabt. Im Februar war die Schweizer Öffentlichkeit entsetzt darüber, dass die Luftwaffe nur zu Bürozeiten fliegt. Französische Kampfflieger fingen ein entführtes Flugzeug ab. Krucker sieht in den Unterlagen, wie die Kommission die Schwachstelle der Landesverteidigung bereits seit längerer Zeit diskutiert.

Auch im aussenpolitisch brisanten Geschäft um den Steuerstreit mit den USA hat ein Angreifer Pläne und Positionen der Fraktionen, die internen Argumente und Absichten vor sich ausgebreitet. Alles findet sich in E-Mail-Austausch, Gesprächsnotizen und Positionspapieren auf dem Laptop des Nationalrats.

Mit den gestohlenen Daten kontrolliert Krucker das digitale Leben Glättlis. Dank einer Passwortliste hat er Zugriff auf Twitter, Facebook und Linkedin. Ein Klick von ihm, und der Ruf des Politikers wäre ruiniert. Zum Beispiel mit rassistischen Sprüchen auf Twitter oder durch intime Fotos, die ins Internet gelangen.

Auf die Installation eines Trojaners verzichtet Krucker bewusst. Ein Trojaner ist ein mächtiges Spionageprogramm für die komplette Überwachung eines Computers. Trojaner öffnen Hintertüren und können Schaden anrichten. Ein echter Hacker hätte so nach Belieben Mikrofon und Kamera einschalten können und vertrauliche Kommissionssitzungen live mitverfolgt.

Ein Angriff kann auch ganze Computer-Netzwerke treffen. Das zeigt der Angriff auf den zweiten Nationalrat, Yannick Buttet, CVP Wallis. Buttet ist nebst seinem Amt als Nationalrat auch Präsident der Walliser Gemeinde Collombey-Muraz. Ein USB-Stick mit Zugang zu einer Seilbahn-Webcam in der Gegend sollte sein Interesse wecken. Auch dies ein gefälschtes Schreiben von Krucker. Buttet glaubt der Fälschung und lässt den Gemeindeinformatiker am 7. März das «Webcam-Programm» installieren. Die Gemeinde Collombey-Muraz ist gehackt, auch Buttets Laptop ist an diesem Tag im Netzwerk.

Ein weitergehender Angriff aus der Gemeindeinfrastruktur hätte Schaden anrichten können, darum hört Krucker hier auf. Buttet sagt: «Es reicht offenbar nicht, einfach nur vorsichtig zu sein. Wir müssen uns alle besser auf Hackerangriffe vorbereiten.»

Buttet lässt nun in seiner Gemeinde alle USB-Anschlüsse versiegeln. Glättli sagt, er werde nun noch paranoider sein beim Öffnen von E-Mails, zeigt aber auch eine gewisse Hilflosigkeit: «Trotz Virenscanner und Verschlüsselung wurde ich gehackt. Das gibt mir zu denken.»

Einige Parlamentarier benutzen «gehärteten Laptop»

Der Versuch zeigt klar, dass in der Schweiz wichtige Geheimnisträger gehackt werden können. «Es geht um die Interessen der Schweiz», sagt IT-Spezialist Krucker. Er fordert, dass Parlamentarier besser geschützt werden. Damit Hacker keine Dokumente stehlen können, sollen National- und Ständeräte in einer geschützten Umgebung des Bundes arbeiten. Über eine verschlüsselte Internetverbindung könnten sie sich von überall her in das System einwählen und hätten dort einen «virtuellen Desktop», den sie wie ihren eigenen PC nutzen können, in Tat und Wahrheit arbeiten sie aber auf einem geschützten Rechner in Bern.

Ein solches System hätte auch der IT-Sicherheitsbeauftragte der Parlamentarier gerne. Pascal Adam aber sagt, solche verbindliche Schutzmassnahmen müssten sich die National- und Ständeräte selbst auferlegen. Die Parlamentsdienste könnten ein solches System zur Verfügung stellen. Sie seien aber gegenüber den Parlamentariern nicht weisungsbefugt. «Wir haben ein Milizparlament. Die Sicherheit liegt grundsätzlich in der Verantwortung der Parlamentarier», sagt Adam. Er biete bereits einiges, um die National- und Ständeräte zu schützen. Viele Parlamentarier nutzen etwa den «speziell gehärteten» Laptop, der von den Parlamentsdiensten gewartet wird.

Grundsätzlich gilt: Einen 100-prozentigen Schutz gibt es nicht. Wer sich aber in der Öffentlichkeit zurückhaltend verhält, macht es Hackern schwer. Der Angriff auf Jean-Christophe Schwaab zeigt dies deutlich. Über den SP-Nationalrat aus dem Waadtland fand Krucker sehr wenig für einen Angriff. Schwaab war auch misstrauisch genug, eine anonym zugeschickte Whistleblower-Festplatte eines angeblichen Post-Mitarbeiters nicht einzustecken. Schwaab hatte sich in einer Motion über Missstände bei der Post geäussert. Zwar funktionierte die Täuschung, wie Schwaab zugibt: «Ich war sehr neugierig und wollte unbedingt wissen, was da drin ist.» Der Nationalrat steckt aber aus Prinzip keine fremden USB-Sticks ein.

Rekord-Blitzer von San Vittore: 6,7 Millionen und zwei Mörder

Rekord-Blitzer Ausschnitt

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 2. März 2014

Von Florian Imbach, Oliver Zihlmann und Alexandre Haederli

San Vittore GR An der engen Autostrasse A 13 Richtung San Bernardino steht seit Jahren ein alter, schon leicht angerosteter Radar. Das graue Gestänge mit der abgeblätterten Farbe sieht unspektakulär aus – doch in Wahrheit ist der Apparat eine Geldmaschine: 6,7 Millionen Franken bescherte er den Bündnern im Jahr 2013. Er brachte doppelt so viel ein, wie alle zwölf stationären Blitzer der Kantonspolizei Zürich zusammen.

Die SonntagsZeitung hat alle 19 Kantone und die 6 grössten Städte angeschrieben, die fest installierte Blitzer montieren. Die Frage lautete: Wie viele Fahrzeuge haben ihre «aktivsten» Blitzer im 2013 jeweils erwischt? Über ein Drittel hat geantwortet (siehe Kasten). Demnach hat ein Radar auf der A 2 in Basel am häufigsten geblitzt. Geht es aber um die Einnahmen, dürften die beiden fest installierten Geräte der Bündner alle Schweizer Rekorde brechen. Zusammen nahmen die Standorte San Vittore und San-Bernardino-Tunnel 10,4 Millionen ein.

Damit gehören sie sogar international zur Spitze. Die drei neuen Rekordanlagen auf der sechsspurigen Autobahn A 8 um Stuttgart nahmen gemeinsam umgerechnet 7,6 Millionen Franken im Jahr ein. Deutschlands Blitzer Nummer eins in Bielefeld, wirft pro Jahr kaum mehr ab als der Goldradar von San Vittore.

So stellt sich die Frage: Wählen die Bündner besonders lukrative Standorte für ihre Blitzer?

Die Frage geht an William Kloter, 36, Regionenchef der Kantonspolizei im Tal Misox. Kloter ist ein Zupacker, der Klartext redet. Bis letzten September war er die Nummer drei der Schweizergarde im Vatikan und persönlicher Leibwächter der Päpste Benedikt XVI. und Franziskus. Seit er seinen Job angetreten hat, konnte er schon einige Erfahrung mit dem Radar sammeln. «Die Menschen sind einfach unachtsam», erklärt er. «Man kann wirklich nicht sagen, dass dieses Gerät hinterhältig aufgestellt ist.»

Die Autobahn A 13 ist eine der schwierigsten Europas

Als Beweis bittet er zur Probefahrt auf dem Abschnitt vor dem Blitzer. Die Autos kommen von der Gotthard-Strecke mit einer Höchstgeschwindigkeit von 120 Kilometern pro Stunde. Nach der Abzweigung zur A 13 stehen nicht weniger als drei mannshohe Schilder mit Tempolimit 80. Dazu prangt 4000 Meter vor dem Blitzer noch eine zwei Meter breite Überkopftafel über den Autofahrern, auf der mit grossen Lettern steht: «Radar». Warum also treten hier so viele noch aufs Gas? Zumal die Anlage seit 20 Jahren steht und weder getarnt noch schlecht sichtbar ist?

«Die A 13 gehört zu den schwierigsten Autobahnen Europas», erklärt Kloter. «Viele unterschätzen sie und fahren zu schnell.» Vor allem wenn bei Stau vor dem Gotthard der Ferienverkehr Richtung San Bernardino ausweicht. Kloter: «Dann geht alles durch diese ‹hohle Gasse›.»

Der Radar wurde in den 90ern zusammen mit der Leitplanke zwischen den Fahrtrichtungen aufgestellt. «Davor rasten hier die Autos mit über 100 aufeinander zu, es trennten sie nur Zentimeter», erklärt Kloter, «wenn es ‹chlöpft›, waren die Insassen meist tot.» Vor allem wegen der vielen Toten entschieden sich die Bündner, hier zu intervenieren.

Seit der Radar in San Vittore steht, gibt es zwar praktisch keine Unfälle mehr, aber an Rasern mangelt es nicht. 142 Autos werden hier im Schnitt täglich geblitzt. 700 Autofahrer fuhren letztes Jahr über 121. Das sind «grobe Verkehrsregelverletzungen» mit Anzeigen, mehreren Tausend Franken Busse und Ausweisentzug. Darunter sind viele Raser aus dem Ausland, die im Rechtshilfeverfahren angeklagt werden.

Letzten Oktober brauste ein Brasilianer mit 173 am Radar vorbei. Im Juni 2010 lösten neun britische Sportwagen innert 60 Sekunden ein Blitzlichtgewitter aus. Drei Briten waren den Ausweis auf der Stelle los. Als im Juli 2003 ein notorischer Raser mit 153 geblitzt wurde, stieg er kurzerhand aus dem Auto, demolierte den Kasten (Sachschaden 40 000 Franken) und fuhr samt Kamera davon.

Zwischen 2006 und 2012 stiegen die Busseneinnahmen der Bündner von 3 auf über 10 Millionen Franken. Ein Grossteil davon dürfte von San Vittore kommen. Der Erfolg des Radars überfordert sogar die Finanzplaner in Chur. 2012 veranschlagten sie für Bussen fast vier Millionen Franken zu wenig. Geldgier kann man den Bündnern dennoch kaum unterstellen, denn ausgerechnet der wohl einträglichste Blitzer der Schweiz wird Ende 2014 demontiert. Der Grund: Die Fahrbahn wird erweitert, die Gefahrenstelle fällt weg. Einen Ersatz soll es nicht geben.

Die verlorenen Millionen seien für die Kantonspolizei kein Problem, erklärt William Kloter. Trotzdem trauert er dem Blitzer jetzt schon nach. «Dieses Gerät hat uns oft geholfen, schwierige Kriminalfälle zu lösen», sagt er. Letzten August überführte es zum Beispiel einen Dieb und notorischen Verkehrsrowdy, der sich eine Verfolgungsjagd mit Streifenwagen lieferte.

Trauriger Höhepunkt seiner Karriere erlangte der Radar im Jahr 2002. Damals ermordeten zwei Rumänen die 31-Jährige Flavia Bertozzi, die schwanger war mit Zwillingen. Überführt wurden die Täter auch dank einem Fahndungsfoto. Es entstand am 3. Dezember 2002, als die beiden mit ihrem Audi A4 vom Tatort rasten. Um 21.47 Uhr blitzte ihnen der Radar von San Vittore ins Gesicht.

Die Schweiz hilft beim Überwachen – Kritik am Export von Spähtechnologie

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 12. Januar 2014

Von Florian Imbach

Mehrere deutsche Unternehmen, die Internet-Überwachungssysteme herstellen und verkaufen, unterhalten Niederlassungen in der Schweiz. Im Gegensatz zu Deutschland dürfen sie solche Produkte hierzulande ohne Bewilligung ins Ausland liefern. Was Firmen tatsächlich aus der Schweiz exportieren, ist nicht bekannt. Im Gegensatz zu Deutschland unterstehen sie keiner Meldepflicht.

Dies führt nun zu Kritik aus der Schweiz und dem Ausland. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Europäischen Parlament, Barbara Lochbihler, sagt, auch die Schweiz solle solche Exporte überprüfen. «In der Aufstandsbekämpfung weltweit, aber gerade in der arabischen Welt, spielt Überwachungstechnologie eine wichtige Rolle.» Das Ziel der EU-Abgeordneten sind strengere Exportrichtlinien in ganz Europa, bei denen «hoffentlich auch die Schweiz mitmacht».Nationalrat Balthasar Glättli (Grüne) drängt darauf, die Lücke rasch zu schliessen: «Die Schweiz darf sich nicht für Umgehungsgeschäfte missbrauchen lassen.»

Seco will den Export unter die Bewilligungspflicht stellen

Eine dieser Firmen ist die Münchner Elaman mit Niederlassung im Thurgau. Ein interner Verkaufsprospekt zeigt, dass Elaman Systeme anbietet für den «Zugriff auf Telekommunikationsnetzwerke», um «Kommunikationsinhalte abzugreifen und auszuwerten». Produkte also, die systematisch den Internetverkehr überwachen. Aus Wikileaks-Dokumenten geht hervor, dass ein Vorstandsmitglied der Schweizer Niederlassung in den letzten beiden Jahren mehrmals aus der Schweiz nach Turkmenistan, in den Oman und in die Vereinigten Arabischen Emirate reiste – drei Länder mit bedenklichem Menschenrechtsausweis.

Nun will das zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) handeln und den Export von Internet-Überwachungssystemen unter die Bewilligungspflicht stellen. Dies bestätigt Jürgen Böhler, Leiter der Exportkontrolle des Seco. Im Dezember haben die 41 Länder der «Wassenaar»-Vereinbarung, darunter auch die Schweiz, beschlossen, den Export solcher Systeme zu kontrollieren. Böhler sagt, dass die Schweiz die neuen Kontrollparameter «so rasch als möglich» übernehmen werde. Nach Übernahme müssten dann «Exporteure solcher Güter das Seco vorgängig um eine Bewilligung anfragen».

Doch auch wenn der Export künftig bewilligungspflichtig wird, müsste das Seco den Firmen in den meisten Fällen eine Bewilligung erteilen. Die Güterkontrollverordnung verbietet lediglich den Export in Staaten, die «die regionale oder globale Sicherheit gefährden». Glättli fordert darum ein zusätzliches Kriterium, eine Garantie dieser Länder, dass die Technologie rechtsstaatlich verhältnismässig und im Einklang mit den Grundrechten eingesetzt werde. «Die Schweiz soll sich für Menschenrechte einsetzen, statt Unrechtsregimes bei der Überwachung zu unterstützen.»

Interview mit Korruptionsexperte Mark Pieth: «Solche Fälle sind ein Versagen der Chefetage»

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 17. November 2013

Von Florian Imbach

Herr Pieth, wo liegt bei Polizisten die Grenze zwischen Zulässigem und Bestechung?
Ein Kaffee liegt sicherlich drin. Ein Polizist sollte sich aber nicht zum Essen einladen lassen. Das liegt bei anderen Amtsträgern vielleicht noch drin, aber nicht bei einem Polizisten. Die Beamten müssen glaubwürdig sein.

Wie beurteilen Sie den aktuellen Fall bei der Stadtpolizei Zürich?
Ich kenne die Details nicht und kann nur generell einschätzen. Es gibt immer wieder Polizisten mit krimineller Energie. Wenn ein Polizist Informationen verkauft oder über bevorstehende Razzien informiert, dann sind wir im absoluten Korruptionsbereich. In solchen Fällen haben sie nur noch die Möglichkeit, die Leute zu entlassen und ein Strafverfahren zu eröffnen.

Sind Polizisten, die im Milieu arbeiten, besonders anfällig für Korruption?
Ja. Das Milieu ist eine Hochrisikozone. Polizisten haben dort mit Leuten zu tun, die viel Geld haben und ständig mit Polizeiaktionen rechnen müssen. Diese Personen versuchen, einen Vorteil herauszuholen. Es fängt mit kleinen Gegenleistungen an, die immer grösser werden. Irgendwann kommt der Schritt ins Illegale.

Was muss die Polizei tun, um solche Auswüchse im Milieu zu verhindern?
Wichtig sind die Vorgesetzten. Solche Fälle sind ein Versagen der Chefetage, weil sie es nicht geschafft hat, ihre Regeln auf alle zu übertragen. Bei der Polizei gibt es oft ein «Vorgehen nach Regeln» und daneben ein «Vorgehen nach Praxis».

Wie sieht ein solches Vorgehen bei der Milieupolizei aus? Die Polizisten sind ja nicht allein, sondern in Dreiergruppen unterwegs.
Die Älteren sagen dem jüngeren Mitglied in der Gruppe: «Die Regeln sind ja schon gut, in der Praxis läuft es aber anders. Jetzt lernst du, wie es wirklich läuft.» Ein solcher Vorgang ist von aussen schwierig zu bemerken. Zu dritt kann man zu einer verschworenen Bande werden.

Was muss nun geschehen?
Es gibt Handlungsbedarf. Die Polizei in der Schweiz muss sich an der Nase nehmen und ihre Ausbildung und interne Überwachung überdenken. Polizisten haben den Ruf, nicht gegen Kollegen vorzugehen. Das ist heikel. Man darf nichts durchgehen lassen. Es muss eine Abteilung geben, die Missbräuche in der Polizei bekämpft. Dort müssen Leute arbeiten, die keine Rücksicht auf die Kollegen nehmen.