«Legalisiert alle Drogen»

Herzig26102014

Die überraschenden Äusserungen des ehemaligen Drogenbeauftragten der Stadt Zürich geben zu reden. Michael Herzig war bis Ende Juni «der Mann für Drogen» in Zürich. In der aktuellen Ausgabe des SonntagsBlicks, sprach er sich dafür aus, alle Drogen zu legalisieren.

«Ich bin dafür, alle Drogen zu legalisieren. Die Betäubungsmittelliste sollten wir vollständig abschaffen.» Cannabis könne man wie Tabak oder Alkohol behandeln, Ecstasy etwas strenger, allenfalls mit höherem Mindestalter. Härtere Drogen wie Kokain und Heroin sollen Ärzte unter medizinischer Anweisung verschreiben. «Die Leute konsumieren heute an Partys Drogen, das gehört zum Nachtleben. Die meisten stehen am Montagmorgen wieder auf der Matte und funktionieren normal. Drogenkonsum führt nicht automatisch in den Abgrund.» International gehe die Entwicklung in Richtung Legalisierung. «Wenn sich nicht bald etwas ändert, verpasst die Schweiz den Anschluss», warnt Herzig. «Der Aufwand, Drogen zu verbieten, ist riesig und am Ende profitiert die organisierte Kriminalität.» Kokain und Heroin seien in der Stadt Zürich praktisch frei erhältlich, obwohl beides verboten ist. In China sind Drogen bei Todesstrafe untersagt: «Trotzdem konsumieren die Leute.»

Am Montag nahmen die Tageszeitungen 20 Minuten und Le Matin die Forderung auf. 20 Minuten holte Reaktionen von Politikern in Zürich ein, die mehrheitlich mit «Unverständnis» und «Enttäuschung» reagierten. Le Matin sprach mit dem jurassischen Polizeidirektor und Drogenexperten Olivier Guéniat. Guéniat zeigte sich wie Herzig kritisch gegenüber der aktuellen Verbots- und Repressionspolitik.

Interessant sind insbesondere die Kommentare der Leser, die sich mehrheitlich für eine Legalisierung aussprechen. Bei der Umfrage auf 20Minuten.ch sprachen sich nach zwei Tagen 70 Prozent der 3400 Teilnehmer für eine vollständige Drogen-Legalisierung in der Schweiz aus.

Am Dienstag folgte dann das Interview mit Michael Herzig auf NZZ Online, das am Mittwoch in der Printausgabe erschien. Darin führt der Experte weiter aus, wie er sich die Legalisierung vorstellt und erzählt, wieso er plötzlich mit einer solch radikalen Forderung an die Öffentlichkeit tritt: «Ich war schon immer der Überzeugung, dass eine Legalisierung von Drogen sinnvoll wäre. Nun, nach meinem Weggang von der Stadt, halte ich es für an der Zeit, Grundsätzliches in dieser Thematik anzusprechen.»

Ebenfalls am Mittwoch widmete der Tages-Anzeiger der Forderung des ehemaligen Drogenbeauftragten eine Analyse.

Hier folgt nun noch der ursprüngliche Artikel im SonntagsBlick vom 26. Oktober 2014, der online nicht verfügbar ist:

«Legalisiert alle Drogen!»

Von Florian Imbach

Michael Herzig steht mit ernster Miene am Zürcher Sihlquai. Hier verkauften bis vor kurzem junge Frauen in kurzen Röcken ihren Körper. Mit der Personenfreizügigkeit reisten Dutzende Roma samt Zuhälter aus Ungarn nach Zürich. Es kam zu einem brutalen Verdrängungskampf. Herzig, bis Ende Juni oberster Prostituierten-Beauftragter der Stadt Zürich, sagt: «Wir wurden völlig überrascht, das haben wir nicht kommen sehen.»

Herzig war in Zürich auch «der Mann für Drogen», leitete die Drogenhilfe. Nun spricht er Klartext: «Die Drogenexperten in der Schweiz meinen, wir seien wahnsinnig innovativ. Das sind wir nicht. Wir haben in den letzten 15 Jahren nichts mehr gemacht, sind bequem und denkfaul geworden.»

Auf nationaler Ebene würden Linke und Rechte eine sinnvolle Drogenpolitik blockieren, weil sie «erzieherisch» an das Problem herangingen. «Rechts führt das zu sinnlosen Verboten, links zu einem blinden Kampf gegen das Rauchen.» Der Staat aber habe nicht die Aufgabe, die Menschen vor sich selbst zu schützen.

Sein radikaler Vorschlag: «Ich bin dafür, alle Drogen zu legalisieren. Die Betäubungsmittelliste sollten wir vollständig abschaffen.» Cannabis könne man wie Tabak oder Alkohol behandeln, Ecstasy etwas strenger, allenfalls mit höherem Mindestalter. Härtere Drogen wie Kokain und Heroin sollen Ärzte unter medizinischer Anweisung verschreiben. «Die Leute konsumieren heute an Partys Drogen, das gehört zum Nachtleben. Die meisten stehen am Montagmorgen wieder auf der Matte und funktionieren normal. Drogenkonsum führt nicht automatisch in den Abgrund.»

International gehe die Entwicklung in Richtung Legalisierung. «Wenn sich nicht bald etwas ändert, verpasst die Schweiz den Anschluss», warnt Herzig. «Der Aufwand, Drogen zu verbieten, ist riesig und am Ende profitiert die organisierte Kriminalität.» Kokain und Heroin seien in der Stadt Zürich praktisch frei erhältlich, obwohl beides verboten ist. In China sind Drogen bei Todesstrafe untersagt: «Trotzdem konsumieren die Leute.»

Gerade bei Cannabis zeige sich, wie kontraproduktiv Repression sei: «Die Hanfläden wurden in den 90er-Jahren kaputt gemacht, worauf die organisierte Kriminalität den Markt übernahm.» Das Hanfladen-Modell möchte Herzig wieder aktivieren, «mit Altersbeschränkung und Qualitätskontrollen». Der Staat profitiere durch Steuern auf Verkauf und Produktion.

«In Kalifornien sind legale Cannabis-Plantagen mittlerweile ein Wirtschaftsfaktor.» Leider sei der Bundesrat diesbezüglich negativ eingestellt, einen Versuch der Stadt Genf will er nicht bewilligen. «Die Städte müssen von sich aus aktiv werden, sie können nicht auf den Bund warten. Die Drogenabgabe haben wir in den Städten auch durchgeführt, bevor das Betäubungsmittelgesetz angepasst wurde.»

Auch bei der Prostitutionspolitik sieht Herzig Handlungsbedarf. Die Städte sollten dafür sorgen, dass die Prostituierten zumutbare Arbeitsbedingungen haben, sich mit bürokratischen Regulierungen aber zurückhalten. Eine Sexarbeiterin brauche heute zig Bewilligungen, in Bern müsse sie sogar bei der Polizei vorsprechen. «Mit der aktuellen Eindämmungspraxis verursachen die Städte hohe Bürokratiekosten.» Er schlägt deshalb ein Lizenzmodell vor: «Städte müssen einen legalen, unbürokratischen Strassenstrich haben und dafür die Anzahl Prostituierte mit Kontingenten begrenzen, wie sie es heute bei Marktfahrern tun.»

Mit einer Begrenzung hätte Zürich auch den Sihlquai in den Griff bekommen, ist Herzig im Rückblick überzeugt. Die Stadt schloss den Strich letztes Jahr und betreibt nun Sexboxen im Aussenquartier.