Interview mit Korruptionsexperte Mark Pieth: «Solche Fälle sind ein Versagen der Chefetage»

Erschienen in der SonntagsZeitung vom 17. November 2013

Von Florian Imbach

Herr Pieth, wo liegt bei Polizisten die Grenze zwischen Zulässigem und Bestechung?
Ein Kaffee liegt sicherlich drin. Ein Polizist sollte sich aber nicht zum Essen einladen lassen. Das liegt bei anderen Amtsträgern vielleicht noch drin, aber nicht bei einem Polizisten. Die Beamten müssen glaubwürdig sein.

Wie beurteilen Sie den aktuellen Fall bei der Stadtpolizei Zürich?
Ich kenne die Details nicht und kann nur generell einschätzen. Es gibt immer wieder Polizisten mit krimineller Energie. Wenn ein Polizist Informationen verkauft oder über bevorstehende Razzien informiert, dann sind wir im absoluten Korruptionsbereich. In solchen Fällen haben sie nur noch die Möglichkeit, die Leute zu entlassen und ein Strafverfahren zu eröffnen.

Sind Polizisten, die im Milieu arbeiten, besonders anfällig für Korruption?
Ja. Das Milieu ist eine Hochrisikozone. Polizisten haben dort mit Leuten zu tun, die viel Geld haben und ständig mit Polizeiaktionen rechnen müssen. Diese Personen versuchen, einen Vorteil herauszuholen. Es fängt mit kleinen Gegenleistungen an, die immer grösser werden. Irgendwann kommt der Schritt ins Illegale.

Was muss die Polizei tun, um solche Auswüchse im Milieu zu verhindern?
Wichtig sind die Vorgesetzten. Solche Fälle sind ein Versagen der Chefetage, weil sie es nicht geschafft hat, ihre Regeln auf alle zu übertragen. Bei der Polizei gibt es oft ein «Vorgehen nach Regeln» und daneben ein «Vorgehen nach Praxis».

Wie sieht ein solches Vorgehen bei der Milieupolizei aus? Die Polizisten sind ja nicht allein, sondern in Dreiergruppen unterwegs.
Die Älteren sagen dem jüngeren Mitglied in der Gruppe: «Die Regeln sind ja schon gut, in der Praxis läuft es aber anders. Jetzt lernst du, wie es wirklich läuft.» Ein solcher Vorgang ist von aussen schwierig zu bemerken. Zu dritt kann man zu einer verschworenen Bande werden.

Was muss nun geschehen?
Es gibt Handlungsbedarf. Die Polizei in der Schweiz muss sich an der Nase nehmen und ihre Ausbildung und interne Überwachung überdenken. Polizisten haben den Ruf, nicht gegen Kollegen vorzugehen. Das ist heikel. Man darf nichts durchgehen lassen. Es muss eine Abteilung geben, die Missbräuche in der Polizei bekämpft. Dort müssen Leute arbeiten, die keine Rücksicht auf die Kollegen nehmen.