Hinter den Postschaltern brodelt es

Post Stress SonntagsBlick

Erschienen im SonntagsBlick vom 1. Juni 2014

Von Florian Imbach

Nur der Verkauf zählt: Mitarbeiter müssen Umsatz bolzen. Nun regt sich bei Poststellenleitern und Angestellten Widerstand.

Roman Grunder* steht in der leeren Schalterhalle seiner Poststelle. Ein wenig verloren sieht er aus zwischen Mobiltelefon-Werbung und Versicherungsprospekten. «Das ist doch krank, was die wollen», sagt Grunder. Vor ein paar Wochen hat der Poststellenleiter die neuen Verkaufsziele bekommen. «Das kann ich beim besten Willen nicht erreichen», sagt er. «Bei der Post geht es nur noch ums Verkaufen – alles andere ist egal.»

Auch in anderen Schweizer Poststellen rumort es. Mitarbeiter sind erschöpft, leiden an Burnouts, lassen sich krankschreiben. Langjährige Mitarbeiter künden, weil sie es bei der Post nicht mehr aushalten. Der Grund: Die bei der Bevölkerung ehemals hochgeschätzte Institution wolle nur noch verkaufen – «ohne Rücksicht auf Verluste».

Grunder fing als Lehrling an, hielt der Post jahrzehntelang die Stange. Nun wird ihm gesagt, er könne ja «verreisen», wenn es ihm nicht mehr passe. So geht es vielen, mit denen SonntagsBlick sprechen konnte, vom einfachen Schalterangestellten bis zum Kadermitarbeiter, von der Ostschweiz bis in die Romandie. Aus Angst vor Repressalien will niemand mit seinem wahren Namen in der Zeitung stehen. Die «heile Welt der Post», wie einer sagt, sei «Lug und Trug».

Der Druck von oben, sagen Schalterangestellte, sei gewaltig. Yannik Tobler* etwa (Bild) hatte nie Probleme bei der Arbeit. Der Mittzwanziger ist fleissig, freundlich und bedient die Kunden stets mit einem Lächeln. Jetzt steht er jeden Morgen mit Bauchweh auf und steht gebückt hinter dem Schalter.

Für ihn brach eine Welt zusammen, als er letztes Jahr zum ersten Mal beim Chef antraben musste. Er verkaufe nicht genug, hiess es. Beim nächsten Gespräch war dann plötzlich eine Mitarbeiterin der Personalabteilung dabei, die ihm «personalrechtliche Konsequenzen» androhte, wenn er nicht endlich mehr umsetze. «Ich wurde richtig fertiggemacht», berichtet er. Gespräche wie dieses haben offenbar System. Mitarbeiter, die nicht genug verkaufen, müssen zum Chef. Danach folgen monatliche «Standortbestimmungen» mit dem Vorgesetzten und der Personalabteilung. Wer nicht spurt, dem wird die Kündigung nahegelegt.

Yannik Tobler musste im letzten Jahr neben seinem anspruchsvollen, strengen Schalterjob massiv Kunden werben und dabei 31 Kontos eröffnen, zehn PostFinance-Beratungen vermitteln, sechs Reiseversicherungen von Axa-Winterthur verkaufen, 20 Mobiltelefon-Abo-Verträge abschliessen und mit möglichst jedem seiner Postkunden zum Millionen-Umsatzziel mit Markenartikeln beitragen. So steht es in seiner Zielvereinbarung, die SonntagsBlick vorliegt.

Ganz im Einklang mit der neuen Post-«Verkaufsphilosophie» hat das Management auf dieses Jahr ein neues Online-Bewertungssystem eingeführt, das voll auf Verkaufsziele setzt. Interne Dokumente zeigen, welche Ziele die Post bei der Bewertung wie hoch gewichtet: Versicherungen verkaufen (10 Prozent), Mobiltelefon-Abos verkaufen (25 Prozent), PostFinance-Produkte verkaufen (25 Prozent), Markenartikel verkaufen (20 Prozent) und klassische Postprodukte verkaufen (20 Prozent). Verkaufen, verkaufen, verkaufen – am besten 100 Prozent, das zählt beim Schalterpersonal.

Letztes Jahr erzielte die Post mit Drittprodukten einen Umsatz von einer halben Milliarde Franken. Dennoch macht der Bereich «Poststellen und Verkauf» Verlust. 91 Millionen Franken im letzten Jahr. Schweizer schreiben weniger Briefe, die Konkurrenz durch neue Kommunikationsmittel wie E-Mail macht sich bemerkbar. Den Rückgang im traditionellen Postgeschäft will das Unternehmen mit höheren Einnahmen bei «Drittprodukten» ausgleichen.

Der Einblick in Poststellen-Verkaufsziele zeigt: Die Post zieht die Schrauben an. Von 2012 bis 2014 erhöhte die Postleitung ihre Verkaufsziele für Versicherungen, Telekom und PostFinance-Produkte um 29 bis 50 Prozent. Der damit verbundene Druck sei massiv, klagen Mitarbeiter. Seit zwei Jahren lassen sich Angestellte vermehrt krankschreiben. Immer öfter kommt es zu Burnouts, wie mehrere Poststellenleiter bestätigen. «Ich bin seit 20 Jahren bei der Post. Ich habe noch nie so viele kranke und ausgebrannte Leute gesehen wie in den letzten zwei Jahren», sagt ein Kadermitarbeiter.

Postmitarbeiter wie Yannik Tobler sind mittlerweile so verzweifelt, dass sie ihre Familienangehörigen und Freunde mit Versicherungen und Mobiltelefonverträgen eindecken, um bloss mehr zu verkaufen. Ein Angestellter gesteht im Gespräch, wie er aus seinem Lohn im Postshop regelmässig Handys kauft – und sie auf Internet-Tauschbörsen wie Ricardo wieder verscherbelt. Mit Verlust.

Das sagt die Post zu den Vorwürfen des Schalterpersonals

Die Post weist die Vorwürfe in einer schriftlichen Stellungnahme zurück. Die Fluktuationsrate im Poststellenbereich liege mit vier Prozent knapp über der Rate des Gesamtkonzerns, die krankheitsbedingten Abwesenheiten hätten in den letzten 12 Monaten leicht abgenommen. Zu den Verkaufszielen sagt die Post: «Im Verkauf braucht es auch bei der Post Anreize, diese setzen wir in einem sozialverantwortlichen Mass um. Die kaum lohnwirksamen Ziele wurden auf Grund des Potenzials und der Zielerreichung 2013 ermittelt.» Die Post biete Mitarbeitern «vielfältige Unterstützungsmassnahmen» an, «beispielsweise Verkaufstrainings, Lernzirkel, Fördergespräche, Themen-Workshops etc., um ihre Kompetenzen zu steigern und sich mit erfolgreichen Kolleginnen und Kollegen auszutauschen».

In den Mitarbeitergesprächen würden Postmitarbeiter nicht schikaniert. Die Post spricht von «standardisierten Standortbestimmungen und Führungsgesprächen», in denen Mitarbeiter bei «auftretenden Defiziten» unterstützt würden. Die Post sagt weiter, dass bei der Zielbeurteilung auch das Arbeitsverhalten «eine Rolle spiele». Entlassen würde niemand aufgrund schlechter Verkaufszahlen. Der GAV Post lasse dies nicht zu.