Was ich gelernt habe (Kapitel 1 von X)

Ein Sprung von einem Hochhaus auf das nächste. Eine beängstigende Vorstellung für die meisten. Doch kann ich mir gut vorstellen, dass ein solch gewagter Sprung auch neue Perspektiven aufzeigt. Zumindest im übertragenen Sinne stimmt dies für mich.

Kamera im Parlamentsgebäude 2021: Dreh im Bundeshaus

Ich habe in den letzten Jahren beim Schweizer Fernsehen und dem TV-Magazin Rundschau vieles gelernt. Dies ist Kapitel 1: Von Menschen und Maschinen.

Von Menschen.

Menschen sind ungemein wichtig für unsere Arbeit. Ich kann dies gut zeigen an zwei Recherchen und Geschichten.

Im August 2018 berichtete ich in der Rundschau über das unglaubliche Schicksal von Tanja. Die Mutter wurde verdächtigt, ihr Baby getötet und das zweite misshandelt zu haben. Der Staatsanwalt ging dabei so weit, dass er verdeckte Ermittlerinnen auf die Frau ansetzte. Eine Polizistin wurde gar zur besten Freundin von Tanja und rapportierte etwa ein Jahr lang in Dutzenden Amtsberichten, was Tanja sagte und machte, bis hin zu intimsten Details.*

Nach meinem ersten Kontakt verging eine lange Zeit bis Tanja von sich aus bereit war, ihre Geschichte zu erzählen. Über das Erlebte zu sprechen – und nicht zuletzt über den Tod des eigenen Kindes – war für die Mutter keine leichte Sache. Doch nur mit dem Mut dieser Frau konnte die Öffentlichkeit die Geschichte erfahren.

Zwei Jahre später, im August 2020, strahlte die Rundschau den Beitrag über Jacqueline Kummer aus. Eine Mutter, die jahrelang um ihr entführtes Kind kämpft – und dieses während der Dreharbeiten völlig überraschend wieder in die Arme schliessen kann. Auch hier verging eine lange Zeit, bis wir diese bewegende Geschichte erzählen konnten. Aus Sicherheitsgründen und aus Rücksicht auf die Tochter warteten wir über ein Jahr nach Ende der Dreharbeiten bis wir den Beitrag dann – mit einem Update – ausstrahlten.

Auch Jacqueline Kummer fiel es nicht leicht, über das Erlebte zu sprechen. Ihr war es sichtlich unangenehm, im Mittelpunkt zu stehen. Doch auch sie entschied sich, ihre Geschichte zu erzählen. Damit es andere Mütter vielleicht besser haben. Wenn vielleicht nur ein Kind nicht entführt werde, sagte sie mir, habe es sich gelohnt.

Diese beiden Geschichten zeigen, dass unsere Arbeit nur möglich ist, weil Menschen wie Tanja und Jaqueline sie erzählen. Ich habe grossen Respekt vor dem Mut dieser beiden Frauen.

Von Maschinen (und Menschen).

Als Informatiker wage ich mich gerne an komplizierte digitale Themen. Sei es E-Voting, Informationskriegsführung oder staatliche IT-Beschaffung. An solche Recherchen wagen sich nur wenige Journalistinnen. Sie sind aufwendig, schwierig zu erzählen und haben in der internen Konkurrenz oft einen schweren Stand.

Dabei ist gerade das eine grosse Chance. Wer sich weiterbildet in Informatik oder zu digitalen Themen und sich so Wissen aneignet, kann mit Themen punkten, an die sich andere nicht wagen. Und Redaktionen merken mehr und mehr, dass es digitalen Aufholbedarf gibt. Und sie merken vor allem, dass solche Beiträge, wenn sie richtig erzählt werden, auch beim Publikum gut ankommen.

Die Krux liegt an zwei Orten – und wer diese beherrscht, dem öffnet sich eine faszinierende und riesige Welt. Zum einen ist da die Übersetzungsarbeit: Ihr müsst genug von Informatik verstehen, um das Thema so zu übersetzen, dass es die Öffentlichkeit versteht. Zum anderen ist da das Casting. Es gilt die richtigen Personen zu finden, die helfen, das Thema zu begreifen und die Geschichte zu erzählen. In anderen Themenfeldern ist das auch wichtig, doch gerade bei digitalen Themen, bei IT-Themen fällt es viel stärker ins Gewicht, weil wir uns in einer logischen Welt und nicht in einer erlebbaren Welt bewegen. Zuschauerinnen erfassen, was sie erleben können. Daher liegt der Schlüssel in der Erlebniswelt der Protagonistinnen. Sie bringen den Zugang. Am Ende geht es bei Maschinen eben auch um Menschen.

So viel zu meinen Zwischengedanken auf dem Sprung von einem Hochhaus aufs nächste. Ich freue mich auf Kommentare, Ergänzungen und Kritik 🙂


* Tanja heisst nicht wirklich so, dieser Name wurde ihr zum Schutz ihrer Privatsphäre gegeben. Der richtige Name ist mir bekannt. Das Verfahren gegen die Frau wurde eingestellt, was einem Freispruch entspricht. Ihr Ex-Mann wurde kürzlich in erster Instanz freigesprochen. Dieses Verfahren ist noch hängig. Ganzes Dossier über die Recherche ist hier zugänglich.