Kein Dementi ist kein Dementi

Screenshot des NZZ am Sonntag Artikels über die mutmasslichen Pläne von On.

Von Florian Imbach*

Das Gegenüber von Journalistinnen und Journalisten verhält sich in der Regel traditionell kooperativ. Das heisst: Wir konfrontieren, sie nehmen Stellung, wir lassen das Gegenüber im Text oder im Beitrag fair zu Wort kommen und publizieren.

Reagiert das Gegenüber mit einem Dementi, wird es komplizierter. Vielleicht lässt man dann die Berichterstattung bleiben. Oder die Recherche ist wasserdicht, man hat mehrere unabhängige Quellen und bringt die Recherche trotzdem – inklusive Dementi. Aussage gegen Aussage.

Kompetitiv statt kooperativ

Die Reaktion der Schuhfirma „On“ im aktuellen Beispiel „NZZaS vs. On“ zeigt ein alternatives Vorgehen. Ich habe hier versucht, den Ablauf anhand öffentlicher Quellen aufzuzeigen.

Um was geht es? Die „NZZ am Sonntag“ recherchierte, dass „On“ den Börsengang plane.

Die junge Zürcher Firma – sie feierte gerade ihr 10-jähriges Bestehen – strebt den Gang an die Börse an, wie Recherchen zeigen. Mehrere voneinander unabhängige Quellen bestätigen, dass erste Vorbereitungen getroffen wurden. Sie sind noch in einem frühen Stadium. Angestrebt wird dem Vernehmen nach ein Termin im Sommer oder Herbst 2021.

Artikel NZZaS vom 11.7.2020

Die NZZaS hatte nach eigenen Angaben eine solide Quellenlage und konfrontierte „On“ am Freitag vor der Publikation mit der Recherche (siehe persoenlich.com). Die Schuhfirma hätte also am Freitag oder Samstag gegenüber der NZZaS dementieren können.

Dementi folgt nach Publikation

Wie aus dem am Sonntag publizierten Artikel der Zeitung hervorgeht, dementierte „On“ nicht. Im Artikel steht: „Auf Anfrage kommentieren weder Federer noch On diese Recherchen.“ Das Vorgehen von „On“ war es offenbar, in einem ersten Schritt gegenüber dem Rechercheur nicht weiter zu kommentieren.

Am Tag nach der Publikation und somit drei Tage nach der Konfrontation folgte das Dementi. „On“ spricht von einer „klaren Falschmeldung“. Diese Message verbreitet die Firma via Konkurrenzmedium „20 Minuten“. Der entsprechende Artikel titelt: „Sneaker-Firma On dementiert Börsengang.“

«Die Spekulationen in der Sonntagspresse stimmen nicht», teilt David Allemann, Mitbegründer von On, 20 Minuten mit. Die Firma habe keine Pläne für einen Börsengang im nächsten Jahr.

Artikel 20 Minuten, 12.7.2020

Doch was wird hier genau dementiert? Der Schuhfirma-Mitbegründer dementiert im Artikel „einen Börsengang im nächsten Jahr“. Dass ein Börsengang zu einem anderen Zeitpunkt denkbar sei, steht auch im Artikel von „20 Minuten“ weiter unten (Zitat Experte: „Künftiger Börsengang nicht auszuschliessen“).

Die NZZaS reagierte gleichentags auf das Dementi und hielt ihrerseits fest:

Der Artikel stützt sich auf mehrere zuverlässige Quellen. Demnach ist ein Börsengang Thema im Unternehmen und sind gemäss diesen Quellen erste Schritte in die Wege geleitet worden. Wie konkret diese sind, darüber gibt es unterschiedliche Darstellungen.

Nachtrag zum Artikel NZZaS vom 11.7.2020

Die NZZaS hält an ihrer Berichterstattung fest. Und „On“ schliesst mit ihrem Wording gegenüber „20 Minuten“ einen Börsengang auch nicht kategorisch aus, sondern dementiert namentlich Pläne für einen Börsengang „im nächsten Jahr“. Am Ende könnte aber trotzdem der Eindruck entstehen, dass die Recherche nicht stimme.

Hohe Reichweite und mehr Gewicht

Was sind weitere mögliche Folgen des Vorgehens?

1.) Der Fokus der nachträglichen eigenen Kommunikation von „On“ via „20 Minuten“ liegt auf dem Dementi (Titel: „Sneaker-Firma On dementiert Börsengang“). Diese Message erreicht mit Push-Meldung von „20 Minuten“ eine hohe Reichweite.

2.) Als eigene „Story“ erhält die Kommunikation der Schuhfirma mehr Gewicht als sie es mutmasslich bei einer traditionellen Stellungnahme erhalten hätte. Gleichzeitig erhält aber auch die Recherche der NZZaS mehr Gewicht. Das Hin und Her macht die Angelegenheit zu einer potentiell noch grösseren Geschichte.

3.) Gemäss Nachtrag zum NZZaS-Artikel hat die NZZaS erst durch die Publikation im Konkurrenzmedium vom nachträglichen Dementi erfahren. Die Rechercheure wurden also mutmasslich überrumpelt und gerieten dadurch in die Defensive.

Mehr und mehr reagieren Gegenüber von Journalistinnen und Journalisten nicht mehr klassisch, sondern mit einem alternativen Vorgehen (siehe z.B. auch „Axsana vs. Tages-Anzeiger“, das Gegenüber veröffentlichte den Mailverkehr mit dem Journalisten Dominik Feusi integral auf ihrer Internetseite).

Als investigative Journalistin oder investigativer Journalist lohnt es sich, aus dem Vorgehen im Fall „NZZaS vs. On“ Schlüsse für eigene Recherchen zu ziehen und sich entsprechend vorzubereiten.


* Florian Imbach arbeitet als Redaktor bei der „Rundschau“ von SRF in Zürich und Bern und unterrichtet Recherche an der Journalistenschule MAZ in Luzern. Interessenbindung: Florian Imbach hat mit dem Autor des NZZaS-Artikels studiert und ist mit ihm befreundet.